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Kertbeny 200

Kertbenys Aktivitäten für die Rechte von Homosexuellen

Nach eigenem Bekunden begann Kertbeny sich mit strafrechtlichen Fragen der Homosexualität zu beschäftigen, weil er instinktiv dazu neigte, gegen alle Arten von Ungerechtigkeit zu kämpfen. Sein Interesse am Thema begann im Jahre 1840 mit dem Selbstmord eines jungen Freundes mit „abnormen Neigungen“, der seit seiner Kindheit mit seiner „ununterdrückbaren Leidenschaft“ zu kämpfen hatte und so zum Opfer eines Erpressers geworden war. Der tote Freund bat Kertbeny angeblich in seinem Abschiedsbrief darum, einige seiner Bekannten vor dem Erpresser zu warnen. Kertbeny beschrieb sich selbst an mehreren Stellen, vielleicht mit übertriebener Betonung, als „normal sexuell“, das heißt heterosexuell, aber seine Tagebucheinträge lassen darauf schließen, dass er für männliche Schönheit nicht unempfänglich war und auch homosexuelle Erfahrungen hatte.

Brief in deutscher Sprache von Karl Maria Kertbeny an Karl Heinrich Ulrichs vom 6. Mai 1868

Der Brief an  Ulrichs vom 1868

In den Jahren 1865-68 korrespondierte Kertbeny regelmäßig mit Karl Heinrich Ulrichs. Im Gegensatz zum Ulrichs, der mit dem Angeborensein argumentierte, betonte Kertbeny eher, dass der Staat sich nicht in das Privatleben der Bürger einmischen sollte – so dürfte er sich auch nicht mit der gleichgeschlechtlichen Liebe beschäftigen. Auch betrachtete Kertbeny Männer, die Männer liebten, nicht als ein drittes Geschlecht, sondern dies als eine andere Art von Männlichkeit

In einem Brief an Ulrichs vom 6. Mai 1868 schrieb Kertbeny zum ersten Mal in deutscher Sprache die folgenden Bezeichnungen nieder: „Heterosexual” (heterosexuell), „Homosexual” (homosexuell) und „Monosexual“ (monosexuell) – Letztere für Menschen, die Sex mit sich selbst haben. Er verfolgte damit das Ziel, ein neues Vokabular zu schaffen, das frei von den moralisch ablehnenden Untertönen der damaligen Begriffe war. Am wahrscheinlichsten erscheint die Annahme, dass die Begriffe durch den botanischen Begriff „bisexuell“ („doppelgeschlechtlich“) inspiriert wurden. Der Begriff „homosexuell“ wurde von Kertbeny übrigens aus dem griechischen Wort homo (=gleich) und aus dem lateinischen sex (=Geschlecht), und nicht etwa aus dem lateinischen Wort homo, also Mensch, gebildet. In diesem Brief vertrat Kertbeny in seiner Diskussion mit Ulrichs einen außerordentlich modernen Standpunkt. 

„Besonders aber der Nachweise des Angeborenseins führt gar nicht zum Ziele, am wenigsten rasch, nur ist überdies ein gefährlich zweischneidig Messer, so hochinteressant anthropologisch das Naturräthsel auch sein mag. Denn die Legislative frägt den Teufel noch dem Angeborensein eines Triebes, sondern nur nach dessen persönlicher oder sozialer Schädlichkeit, nach dessen Verhältnisz zur Gesellschaft. Es giebt auch Leute mit angebornem Blutdurst, mit Pyromanie, Schwangere mit all möglichen Gelüsten, Personen mit Monomanien, u. s. w. Man läset diese aber doch nicht unverwehrt ihr Wesen treiben, ihrem Triebe folgen, und wenn man sie auch, wird diese Anlage ärztlich erwiesen, nicht für absichtliche Thaten straft, so isolirt man sie doch möglichst, und behüttet die Gesellschaft vor ihren Excessen. Es wäre also nicht das Geringste gewonnen, gelänge der Beweis des Angeborensein auch bis zur unzweifelhaftesten Evidenz. Es musz den Gegnern vielmehr bewiesen werden, dasz, gerade nach den von ihnen aufgestellten Rechtsbegriffen, sie dieser Trieb ganz und gar nichts angehe, ob er nun angeboren oder willkürlich sei, da der Staat in nichts die Nase zu stecken hat, was ihrer Zwei, gegenseitig freiwillig, unter Ausschlusz der Oeffentlichkeit, im Alter über 14, und ohne Verletzung der Rechte Dritter, an sich gegenseitig ausüben, sogar auch dann nicht, wenn dies zu schwersten Folgen für beide führen würde, wie sich dem der Staat auch nicht darum kümert, wenn sich ihrer zwei und mehr anstecken, grauenhaft leiden, und endlich an den Folgen elend sterben.”  (Auszug aus dem Brief)

Ein Brief von Karl Maria Kertbeny an Dr. Leonhardt, den königlich preußischen Staats- und Justizminister

Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, 1899

Manfred Herzer, Geschichtsforscher, im Jahr 1987

Die juristischen Pamphlete, 1869

Kertbeny veröffentlichte im Jahre 1869 anonym zwei Pamphlete unter den Titeln: § 143 des Preußischen Strafgesetzbuches vom 14. April 1851 und seine Aufrechterhaltung als § 152 im Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, bzw. Das Gemeinschädliche des § 143 des preußischen Strafgesetzbuches”.  Der Verfasser widmete seine zwei Schriften dem königlich preußischen Staats- und Justizminister Dr. Leonhardt, und schickte sie ihm vermutlich mit weiteren Briefen zu. In diesen zwei Werken sprach sich Kertbeny gegen die Bestrafung der Homosexualität aus. In der letztgenannten Schrift taucht der Begriff „Homosexualität“ zum ersten Mal im Druck auf. 

Die Identität des Verfassers dieser beiden Werke wurde auch in dem von Magnus Hirschfeld (1868-1935) herausgegebenen Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen festgestellt. In den 1980er Jahren wies dann der deutsche Historiker (Bibliothekar, Schriftsteller) Manfred Herzer im Zuge seiner Forschungen in der Széchényi-Nationalbibliothek nach, dass der Autor der beiden Pamphlete zweifellos Kertbeny war.

§ 143 des Preußischen Strafgesetzbuches und seine Aufrechterhaltung als § 152 im Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund (Leipzig, 1869)

Skizze eines Teils des von Karl Maria Kertbeny geplanten Werks mit dem Titel „Sexualitätstudien”: „Die Neue Lehre von der Sexualität"

Die Sexualitätstudien

Kertbeny verbrachte viel Zeit mit der Arbeit an einem Buch mit dem Titel Sexualitätstudien, das seine Studien zur Sexualität enthielt. Er wollte das Werk bei dem Leipziger Verleger Hermann Serbe (der auch seine beiden Pamphlete von 1869 herausgab) veröffentlichen. Das geplante Buch wurde jedoch nie veröffentlicht. Einem Brief von Serbe an Kertbeny zufolge wurde das erste Kapitel mit dem Titel „Historische Einleitung“ zwar fertiggestellt, doch wartete der Verleger dann vergeblich auf die Fortsetzung des Werkes. Im Handschriftenarchiv der Széchényi-Nationalbibliothek (OSZK) sind jedoch mehrere Skizzen der in Vorbereitung befindlichen Sexualitätstudien erhalten geblieben.

Die Tagebücher

Auch die Tagebücher von Kertbeny, die er zwischen 1864 und 1881 führte, werden im Handschriftenarchiv der Széchényi-Nationalbibliothek (OSZK) aufbewahrt. In den Tagebucheinträgen, die hauptsächlich alltägliche Ereignisse und Begegnungen knapp festhalten, erscheinen von Anfang an Hinweise bezüglich Kertbenys Privatleben und seinen Beziehungen zu verschiedenen Männern, während solche, die Frauen betreffen, selten vorkommen. Einige davon hat Kertbeny oft mehrmals durchgestrichen, aber in manchen Fällen ist der ursprüngliche Eintrag immer noch sichtbar. Das Tagebuch zeugt von der Korrespondenz mit Ulrichs (der im Allgemeinen N. N. oder Numa genannt wird), erwähnt die Verhaftungen des Mitstreiters, und dokumentiert auch den Kontakt mit dem Verleger Serbe. In den Einträgen tauchen oft männliche Namen in einem intimen Kontext auf: In den Jahren 1864-65 erscheinen die Namen „Viktor” und „Hubert” in mehreren Einträgen, dann im Jahr 1866 folgt „János” (bzw. „Jancsi”), und ab 1867 taucht regelmäßig der Name „Lajos”, „Lajko” (oder einfach „L.”) auf. 

Kertbenys Tagebuch vom 8. März 1868

Sonntag, der 8. März

Hannover. Den ganzen Tag Regen. Ich bin um 9 Uhr aufgestanden. L. ist nicht gekommen. Um 12 zu Vilma Balázs-Bognár, sie hat Angst, dass Bronsart sie im Miska Hausers Konzert nicht singen lässt. Um 1 Uhr im Hof Rhena. Da kam dieser Schalk Gade, der mit der Kotzebul-Tochter verheiratet war. In die Gemäldegalerie, da Möbius. Liophart, Wittmitz, Ilse Oskar. Endlich kam Rogge. Mit ihm zum Börsenclub. Gade auch da und ein schöner Amerikaner. Um 5 Uhr nach Hause. Ich begann Artikel zu schreiben. Um 8 Uhr zum Unio-Keller. Um 10 Uhr nach Hause, um 11 zu Bett gegangen.

Kertbenys Tagebuch vom 27. April 1868

Montag, der 27. April

In Hannover. Ein sehr schöner Tag. Ich bin um 9 aufgewacht. Um 10 Uhr in die Königliche Bibliothek, da Wladimir Guerier, Professor an der Universität in Moskau. Um 1 Uhr im Hof Rhena. Am Nachmittag zum neuen Haus zum Kaffee, dort die drei Schweden. Nach Hause. Brief von K. M. mit 65 Talern. Um 8 Uhr zu Knickmeyer. Dort Warnebolt, der kleine Jude und der ältere Spinner. Um 10 Uhr zu Varrelmann. Ich habe mit Dr. Zusserg Volnay getrunken. Um 12 Uhr nach Hause. Brief von N. N., aber der vierte Brief von ihm ist noch nicht angekommen.

An G. Z. über den Epos.
An Pardubitz die Werbung.
An G. Z. die Quittung.

Kertbenys Tagebuch vom 29. April 1868

Mittwoch, der 29. April

In Hannover. Am Vormittag schreckliche Kälte, dann Regen. Ich bin um 9 Uhr aufgewacht. L. Dann Armin Uhde. Um 1 Uhr im Hof Rhena. Am Nachmittag bei Büsch, um die Golduhr reparieren lassen / versetzen (?). 2 3/8 Lot, aber nur 15 Gold aus Karatha, so ist deren Wert nur 15 Taler. Nach Hause. Um 7.30 zum Konditor Tovote, da der ältere Spinner und sein Freund und der junge Jude. Wir tranken Bier, ich las Aristoteles und Petőfi, um 10 nach Hause.

An Ellinghausen I.
An Frau Benkert (Benkert Jánosné).

Kertbenys Tagebuch vom 05. Juli 1868

Sonntag, der 5. Juli

In Hannover. Bedeckt, wenig Regen, ziemlich kalt. Ich bin um 9 Uhr aufgewacht, ein sehr freundlicher Brief von Serbe. L. Dann Hemecart. Um 1 Uhr in Victoria, mit Hemecart. Mit ihm zum Neuen Haus. Zurück. Hier Vilmos Bansen, ich beobachtete ihn, urning (?). Am Abend im Börsenclub, dann bei Knickmeyer. Um 10 Uhr kam Spinner zu mir, er um 11 Uhr weg, ich um 12 ins Bett.

Serbe zweimal
An Ellissen.

Kertbenys Tagebuch vom 18. Juli 1868

Samstag, der 18. Juli

Nur noch 8 Taler

In Hannover. Ziemlich schöner Tag, am Abend etwas Regen. Ich bin um 9 Uhr aufgestanden. Von Károly Hartmann 10 Taler. L. Dann mit dem Sohn Rogges, habe meinen ganzen süßen Wein ausgesaugt. Zum Schwimmbad, ich kaufte zehn Karten. Joachim dort. Um 1 Uhr zum Viktoria. Nachmittags zum neuen Haus, dort Hölty, der will raus und nicht rein. Dann zum Armlosen Hermann huthen, der mit dem Friseur Jakoby unterwegs ist. Ich beobachtete ihn nackt. Dann kam der Schauspieler Baschele. Nach Hause. Zu Schulze. In den Börsenclub, schlechtes Bier. Dort Ernest Fischer. Mit ihm weg, aber es begann zu regnen. Ich zu Knickmeyer. Dort Spinner und andere. Um 10 Uhr nach Hause, Vilmos ist wieder nicht gekommen.

An Numa

Kertbenys Tagebuch vom 22. Oktober 1868

Donnerstag, der 22. Oktober

Nur noch 53 Taler.

In Berlin. Kühl, sonnig. Ich bin um 9 Uhr aufgestanden. Lajko ließ es schon ein bisschen. Ich habe ihn Hollenberg zum Gesangsunterricht empfohlen. Brief von Kászonyi. Umsonst zum Pfeiffer. Um 11.30 Uhr bei Happolt. Am Nachmittag zu Hause, Broome kam. Um 8 Uhr zu den Klugen. Da ein Amerikaner. Dann Ahrendt, der sagte, dass Lajko eine gute Stimme habe. Ich war wütend, weil Ahrendt mit Leutnant Schrader im Salon saß. Um 11 Uhr nach Hause.

Für Bowring, und Porträt für 
Kászonyi